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MoZ Ausgabe 17/20 I Seite 30 aktuell ... denn wir sind von hier! Mit großem Interesse habe ich in den letzten Wochen die Diskussionsbeiträge in der „Montagszeitung“ und den beiden Bürgervereinen zur geplanten Ethylenoxid( EO-)Anlage im Werk Lülsdorf verfolgt. Als unmittelbarer Werkanwohner, der direkt am Werkszaun wohnt, muss/sollte ich auch zu einer Meinung zu diesem Großprojekt kommen… leichter gedacht, als gemacht! Wie so oft: Kopf, Herz und Bauch haben unterschiedliche Ausrichtungen, die eine eindeutige Meinung schwer machen. Ethylenoxid ist eine der wichtigsten Basischemikalien in der chemischen Industrie. Diese Substanz steht sehr früh am Beginn einer sog. Wertschöpfungskette, entlang derer man von sehr einfachen Molekülen (hier „Ethylen“), zu Ethylenoxid und mit diesem Stoff immer größere Moleküle und vielfältige Moleküle herstellt. Den mengenmäßig größten Anteil finden wir in „Spülmitteln“ und „Gefrierschutzmitteln“ (für Haushalt und Industrie) wieder. Produkte, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. EO-Gas selber ist das wichtigste Sterilisierungsmittel für hitzeempfindliche Medizinprodukte (Verbandsmaterial, OP-Nahtmaterial, Spritzen usw). Die industrielle Basischemie aus Kohle und Erdöl mit ihren tausenden von Produkten war Grundstein und Rückgrat der deutschen chemischen Industrie. Viele dieser Grundbausteine werden heute nicht mehr in Deutschland, sondern in steigendem Maße außerhalb Mittel-Europas produziert. Als Chemiker interessieren mich solche Zusammenhänge, aber rechtfertigen sie den Bau einer Chemieanlage „vor meinem Garten“? Ethylenoxid ist als „giftig“ eingestuft und wird seit den 1930er Jahren industriell hergestellt. Mittlerweile werden weltweit 20-30 Millionen Tonnen davon jährlich produziert. Das bedeutet, dass seit vielen Jahrzehnten sehr viel technische Erfahrung an Herstellung, Werkstoffen und Sicherheitseinrichtungen gesammelt werden konnte. Das die chemische Industrie sehr gut und sicher mit gefährlichen Substanzen umgehen kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich weiß aber auch, dass es bei aller Erfahrung und Sorgfalt kein „Null-Risiko“ gibt. Ein wichtiger Punkt in der Risikoabwägung sind natürlich Informationen nach einem möglicherweise erhöhten Erkrankungsrisiko im Umfeld von EO-Anlagen. Zwei Leserbriefen zufolge gäbe es eine epidemiologische Studie im Auftrag der US-Umweltbehörde, nach der das Krebsrisiko im Umfeld von EO-Anlagen erhöht sei. Die Original-Untersuchung habe ich bisher tatsächlich nicht finden können. Bisher liegen mir zusammenfassende Übersichten von toxikologischen Untersuchungen der letzten ca 40 Jahre vor. Dort wird auch eine Studie erwähnt, die innerhalb (aber nicht im Umfeld) von 13 EO-Anlagen eine Risikoermittlung durchführte („NIOSH conducted an industrywide study of 18,254 workers“). Hinweise auf eine veränderte Einschätzung des cancerogenen Potenzials finden sich dort aber nicht. Ebenfalls zu den im „General Anzeiger“ erwähnten reproduktionstoxischen Eigenschaften („…und zu Fehlbildungen auch in den nächsten Generationen führen könnten“) habe ich keine Untersuchungen finden können. Aber – meine Recherchen gehen hier weiter… Wirklich Meinungs-entscheidend ist die toxikologische Detailanalyse m.E. aber nicht: EO ist als Mutationen verursachende und krebsauslösende Substanz klassifiziert. Dies ist keine Erkenntnis aus den letzten Jahren, sondern seit Jahrzehnten bekannt: Die erbgut-verändernden Eigenschaften werden seit den 1940er Jahren untersucht, die krebsverursachenden Eigenschaften seit mindestens den 1980er Jahren. Dies spiegelt sich auch in allen Sonderregelungen zu Ethylenoxid von den Berufsgenossenschaften, den technischen Richtlinien, dem europäischen Chemieverband CEFIC, in den Transportregelungen, in Lagerungsbestimmungen u.v.a.m. wider. Auch hier kann man also auf lange Erfahrungen zurückblicken, die bei der Anlagenauslegung, in den betrieblichen Alltag und die Betriebsführung einfließen können. In einem Meinungsbeitrag fand sich ein Hinweis, dass die US-amerikanische Umweltbehörde, EPA in 2016 Ethylenoxid von „wahrscheinlich krebserregend“ auf „sicher krebserregend“ umgestuft hätte. Im betrieblichen Alltag spielt es keine wesentliche Rolle, ob eine Substanz „wahrscheinlich“ oder „sicher krebsauslösend“ wirkt – die Gefährlichkeit ist seit Jahrzehnten bekannt - Leserbrief und ich kann bisher auch bei der US-EPA keine anderen Einschätzungen erkennen-: Ethylenoxid ist und bleibt unbestreitbar eine sehr gefährliche Substanz und dem muss in jeglicher Hinsicht Rechnung getragen werden, wie man auch leicht an der Vielzahl der bereits erwähnten Sondervorschriften zu Anlagenauslegung, Transport, Arbeitssicherheit usw. erkennen kann. Die Substanz ist sehr leicht entzündbar, hat eine niedrige Zündenergie und kann auch bei Sauerstoffabwesenheit explosiv reagieren. Auch hier ist mir der große, vorhandene Erfahrungsschatz im Hinterkopf. In den Vordergrund schieben sich dabei allerdings bei mir Detailanalysen aus schweren Unfällen der letzten Jahrzehnte, wo defekte oder unzulässigerweise außer Betrieb genommene Sicherheitseinrichtungen und fälschlicherweise nicht ex-geschützte, verwendete Apparate oder eine schlechte Arbeitsorganisation als Unfallursache identifiziert wurden. Hier sollte PCC sehr genau schildern wie mit diesen Gefahren umgegangen wird, um uns Anwohner zu schützen. Hier muss man sich sehr genau anschauen, wie die Auswirkungen z.B. einer möglichen Explosion in großer Nähe zu Wohnansiedlungen anspruchsvoll verhindert werden. Mir wurden über den Bekanntenkreis Überlegungen zugetragen, dass an der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit dieser hohen Investitionssumme gezweifelt wurde (nach Unternehmensangabe ca 500 Mio €). Nach meiner eigenen Erfahrung werden konzernintern Investitionsvorhaben sehr kritisch geprüft, gerechnet, gegen-gerechnet und nochmals unabhängig geprüft, um ein wirtschaftliches Risiko so gering wie möglich zu halten. Aber: der Investor trägt das geschäftliche Risiko – nicht ich und nicht wir. Ich selber kenne das Werk seit dem Jahr 2000 und habe 8 Jahre u.a. an Produktentwicklungen und Anlagenweiterentwicklung mitgearbeitet. Neben deutlich veränderten Marktstrukturen in Europa hat auch asiatische Konkurrenz zu einer ständigen Verkleinerung des Werkes geführt. Aufgrund geänderter gesetzlicher Rahmenbedingungen kann dieser Schrumpfungsprozess bis etwa 2027 noch an Fahrt aufnehmen. In einer Stellungnahme hatte ich gelesen, dass die mögli- Thema: Meinung zur geplanten Ethylenoxid-Anlage im Werk Lülsdorf Hier: Leserbrief von Christoph Krösche


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